a In meines Herzens
Grunde,
b Du heller
Edelstein,
a Funkelt all Zeit
und Stunde
b Nur deines Namens
Schein.
c Erfreuest mich im
Bilde
d Mit Spiel und
leichtem Scherz,
c Rührend so süss
als milde
d Mir an das wilde
Herz.
e Über Berge seh ich ziehen
f Dein jugendlich Gestalt,
e Doch, wie die
Wolken fliehen,
f Das Bild
vorüberwallt;
g Es führt mich
fort durch Wiesen
h Weit ab in Tales
Grund,
g Doch wenn ich‘s
will geniessen,
h Zerfliesset es
zur Stund.
i Ich will dich
nicht umfassen,
j Nur fliehe nicht
von mir.
i Das Bild kann ich
nicht lassen,
j Noch lässt es
auch von mir.
k Bei dir nur ist
gut wohnen,
l Drum ziehe mich
zu dir.
k Endlich muss sich
doch lohnen
l Schmerz,
Sehnsucht und Begier.
m Bringt jeder Tagesschimmer
n Doch neuer Hoffnung Schein,
m Und schreibt uns beid' noch immer
n Ins Buch des Lebens ein.
o Drum lass mich vor dir grünen,
p Und leben froh und frei.
o Gerne will ich dir dienen,
p Dass treu dein Herze sei.
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, 1802
Schelling gilt als der wichtigste Philosoph
des Deutschen Idealismus. Die Kunst war für Schelling die höchste Ausdrucksform
des Geistes, die sogar der Philosophie überlegen ist. Er veröffentlichte auch
einige wenige lyrische Texte, die der Romantik zuzuordnen sind. Die Gedichte
stehen in engem Zusammenhang mit seiner Naturphilosophie, die aussagt, dass die
Natur vom Geist geprägt ist. Das Ziel ist die harmonische Einheit beider.
Das Gedicht Lied besteht aus vier Strophen mit
je acht Versen. Es beinhaltet 3-hebige Jamben, die beruhigend wirken und abwechselnd männliche und weibliche Kadenzen. Die rhythmischen
Kreuzreime führen einem durch dieses harmonische lyrische Stück.
Der unerreichbare Edelstein
In der ersten Strophe findet sich das Symbol
des Edelsteins (Vers 2), der in der Seele des lyrischen Ichs
leuchtet und ihm positive Emotionen vermittelt. Ein Edelstein stellt Kostbarkeit dar. Nachdem das lyrische Ich den
Edelstein erblickt hat, folgt es seinem Schein durch die Natur, doch der undefinierbare
Edelstein bleibt für das lyrische Ich ungreifbar (Strophe 2). Das lyrische Ich
will das kostbare Juwel aber gar nicht in seinen Besitz bringen, es fühlt nur
die Sehnsucht nach ihm (Strophe 3). Doch das lyrische Ich spürt Hoffnung, es
sichert dem Edelstein zu, dass es ihm immer dienen wird (Strophe 4). Die Unerreichbarkeit ist Tatsache,
dennoch entschliesst sich das lyrische Ich sein Leben lang treu zu bleiben.
Das Gedicht könnte als typischer Reim einer unerfüllten Liebe dargestellt werden, es steht aber wahrscheinlich im Zusammenhang mit Schellings Philosophie der Natur (Sehnsucht des lyrischen Ichs nach der harmonischen Zusammenführung von Natur und Geist).
Das Gedicht stammt aus dem Buch...
Lyrik der Romantik: Interpretationen zu 17 wichtigen Werken der Epoche, 1. Auflage 2012, Hollfeld
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