Sonntag, 17. Mai 2015

Sehnsucht

Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab’ ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!

Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.

Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die über ‘m Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.


Joseph von Eichendorff 1834

Kurzbiografie
Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff…

...war ein bekannter Dichter und Schriftsteller der deutschen Spätromantik. Er zählt zu den meistvertonten deutschsprachigen Lyrikern. Lange Zeit wurden seine Gedichte als harmlose Wanderburschenlieder, als oberflächliche Natur- und Stimmungsbilder verpönt. Inzwischen weiss man, dass den immer kehrenden Bildern von Wald und Heimat eine tiefere Bedeutung zukommt, dass sich hinter den formelhaften Wendungen dieser Lyrik komplexe Symbole verbergen.

Joseph von Eichendorff wurde am 10. März 1788 auf Schloss Lubowitz in Oberschlesien geboren. Als Sohn eines preussischen Offiziers, wuchs er in einer katholischen Adelsfamilie auf. Er wurde bis zu seinem 13. Lebensjahr Privat unterrichtet. Nachdem er drei Jahre lang das katholische Gymnasium besucht hatte, begann er mit einem Jurastudium. 1808 reiste er nach Paris und Wien, in diesem Jahr besuchte er auch die Vorlesung von Kleist, so lernte er andere Dichter und Schriftsteller kennen.

Nach seinem 2-jährigen Studium in Wien, nahm der an den Befreiungskriegen gegen Napoleon (1813-1815) teil. Im April 1815 heiratete Eichendorff Luise von Larisch in Breslau. Ein Jahr später trat er in den preussichen Staatsdienst als Referendar. 1831 zog er mit seiner Familie nach Berlin und beschäftigte sich mit verschiedenen Ministerien. 1844 ging er in Pension und fing an, sich der Schriftstellerei hinzugeben. Am 26. November 1857 starb Eichendorff in Neisse, infolge einer Lungenentzündung.

Eichendorf gehört heute noch zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellern. Viele seiner Gedichte wurden vertont und auch gesungen. Seine Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts" gilt als Höhepunkt und als Ausklang der Romantik.

Die blaue Blume als Symbol für Sehnsucht und Liebe
von Marie (Dragon Fly)

Die Sehnsucht nach der Ferne

Das Gedicht Sehnsucht besteht aus drei Strophen zu je acht Versen und beinhaltet beschwingte Kreuzreime. Das Metrum ist eher unregelmässig; 3-hebige Daktylen herrschen vor. Die Kadenzen wechseln regelmässig zwischen weiblich und männlich. Das Gedicht entspricht der von den Romantikern bevorzugte Volksliedform.

Beim Lesen des Gedichts taucht man in die symbolische Welt der Spätromantik (1834) ein. Eichendorff stellt das Gedicht sehr bildhaft dar und verwendet eine einfache typische Wortwahl der Romantik. Üblich sind dabei Nomen wie „Wandern“, „Nacht“, „Wald“ und „Mondschein“. Die vielen Elemente aus der Natur, sollen einem die Schönheit und die Friedlichkeit dieser  märchenhaften Welt näher bringen. Adjektive wie „still“, „heimlich“ oder „dämmernd“ verdeutlichen hingegen die bedrückte Stimmung des lyrischen Ichs. Die einfache Sprache gibt dem Gedicht eine volkstümliche Schlichtheit.

Wie es auch schon im Titel steht handelt das Gedicht von einem typischen Symbol der Romantik, nämlich von der Sehnsucht. Die Sehnsucht wird in vielen Werken der Romantik mit dem Reisemotiv in Verbindung gebracht. Der Drang nach der Ferne und das Reisen in den weiten Waldlandschaften oder den märchenhaften Park- und Schlosslandschaften aus vergangenen Zeiten prägen die erste Strophe. Das lyrische Ich sehnt sich nach der unbestimmten Entfernung der freien Natur, aber auch in eine bessere Vergangenheit (jugendliche Freiheit und Ungebundenheit) zurück. Es schwärmt geradezu von dem Reisen in der Sommernacht, als es einsam seinen Blick aus dem Fenster wirft und dem Klang des Posthorns lauscht (Reisen mit Postkutschen, symbolisiert durch das Posthorn in der Romantik). Die Sehnsucht des lyrischen Ichs brennt, da es ihm unter bestimmten Umständen nicht möglich ist mitzureisen.

Die Gesellen in Strophe zwei singen von Naturbildern (Felsenschlüften, Wäldern und Quellen), sie wiederspiegeln die Abenteuerlust des lyrischen Ichs. Die Enjambements (Vers 9, 11 und 15) sorgen für einen Zusammenhalt. Das Bild der Nacht gibt dem ganzen etwas Mysteriöses und Magisches.  Die Dunkelheit der Nacht verbannt die Naturbeschreibungen ins Reich der Fantasie.

Die alten Gärten, verwilderten Lauben und die vom Mondschein beglänzten Marmorbilder der Paläste erwecken eine vergessene Naturlandschaft, die aus einer früheren herbeigeträumten Zeit ist. Das antike Motiv des Marmorbilds könnte auch zur Klassik gehören. Die Mädchen die am Fenster lauschen (Vers 21) bilden eine Verbindung zum lyrischen Ich, das einsam am Fenster steht und der Ferne lauscht. Durch das wird das Gedicht in sich abgeschlossen. Durch die Motiv-Wiederholung des Fensters wird die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach der Liebe des Mädchens und der Liebe im Allgemeinen verdeutlicht.

Das Gedicht stammt aus dem Buch…
von Hartwig Schultz
Joseph von Eichendorff sämtliche Gedichte und Versepen, S. 260, 1. Auflage 2007

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